Bundesarbeitsgericht: Urlaub verfällt und verjährt ohne Hinweis nicht

Nach der Rechtsprechung von Europäischem Gerichtshof (EuGH) und Bundesarbeitsgericht (BAG) ist es nicht allein Sache des Arbeitnehmers, seinen Urlaub zu realisieren. Vielmehr muss der Arbeitgeber ihn „in die Lage versetzen“, Urlaub zu nehmen: Arbeitgeber müssen ihre Arbeitnehmer regelmäßig, idealerweise jeweils zu Jahresbeginn, über die Zahl der Urlaubstage informieren, sie auffordern, Urlaub zu nehmen und darauf hinweisen, dass dieser sonst verfällt (EuGH 06.11.2018, C‑684/16; BAG 19.02.2019, 9 AZR 541/15; vgl. Nummernrundschreiben SP 16/2019 vom 25. Juli 2019).

Unterlässt der Arbeitgeber dies, verfällt der Urlaub nicht, sondern tritt dem Urlaub des Folgejahres hinzu. Vertrauensschutz für Altfälle gewähren die Gerichte nicht, so dass auch Urlaub aus länger zurückliegenden Jahren noch bestehen kann.

I. Hinweispflicht auch bei langer Krankheit Ergänzend haben EuGH und BAG 2022 klargestellt, dass die Hinweispflicht auch bei Langzeitkranken besteht: Urlaub aus dem Jahr, in dem der Arbeitnehmer noch gearbeitet hat, verfällt danach auch bei langer Krankheit nicht immer. Hätte der Arbeitnehmer den Urlaub vor der Erkrankung noch nehmen können und hat der Arbeitgeber seine Hinweispflicht vorher nicht erfüllt, kann der Arbeitnehmer den Urlaub auch Jahre später noch nehmen – oder bei Ende des Arbeitsverhältnisses Abgeltung dafür verlangen, so der EuGH (EuGH 22.09.2022, C-518/20 & C-727/20).

Das BAG hat, dem EuGH folgend, dementsprechend am 20. Dezember 2022 entschieden, dass Urlaub aus einem Urlaubsjahr, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bei anschließender langandauernder Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf von 15 Monaten erlischt, wenn der Arbeitgeber zuvor seinen Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist (BAG 20.12.2022, 9 AZR 245/19, Pressemitteilung siehe Anlage 1 ).

Das gilt aber nur, wenn der Arbeitnehmer im betreffenden Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, und somit den Urlaub hätte nehmen können bevor er arbeitsunfähig wurde. So war es im entschiedenen Fall.

Anders wäre zu entscheiden, wenn der Arbeitnehmer im gesamten Urlaubsjahr inklusive Übertragungszeitraum durchgehend arbeitsunfähig ist: Ist der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres krank, verfällt der Urlaub auch ohne Hinweis. In dieser Konstellation hätte ein Hinweis des Arbeitgebers auch keinen Sinn, da der Arbeitnehmer den Urlaub krankheitsbedingt ohnehin nicht hätte nehmen können.

II. Verjährung von Urlaubsansprüchen Wenn jahrealte Urlaubsansprüche schon nicht verfallen sind, können sie dann verjähren? Diese Frage hatte das BAG dem EuGH 2020 vorgelegt. Und, wenig überraschend, hat der EuGH seine restriktive Haltung fortgesetzt: Urlaub, der wegen Nichteinhaltung der Hinweispflicht nicht verfällt, verjährt auch nicht (EuGH 22.09.2022, C-120/21).

Dieses Urteil hat das BAG am 20. Dezember 2022 (9 AZR 266/20, Pressemitteilung siehe Anlage 2 ) nachvollzogen. Darin hat das BAG entschieden, dass die gesetzlichen Verjährungsvorschriften auf den Urlaubsanspruch zwar Anwendung finden, die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) beginne jedoch erst mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt habe.

In dem entschiedenen Fall habe der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin nicht durch Aufforderung und Hinweis in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Ansprüche seien daher weder am Ende des Kalenderjahres bzw. Übertragungszeitraums verfallen, noch bereits während des Arbeitsverhältnisses verjährt.

III. Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses wandelt sich der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers in einen Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Dies ist ein reiner Geldanspruch, der der dreijährigen Verjährungsfrist unterliegt. Aus der Feststellung in der Pressemitteilung des BAG vom 20. Dezember 2022 (9 AZR 266/20, Anlage 2 ), dass die Klägerin den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs „innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren“ erhoben habe, kann man folgern, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch unabhängig von einem Hinweis des Arbeitgebers verjährt.

Daher ist davon auszugehen, dass bereits seit mehr als drei Jahren ausgeschiedene Arbeitnehmer mit Hilfe der neuen Rechtsprechung des BAG keine Abgeltung für (angeblich) nicht genommene Urlaubstage aus lang zurückliegenden Jahren durchsetzen können.

IV. Empfehlungen für die betriebliche Praxis Die Entscheidungen von EuGH und BAG aus 2022 unterstreichen die Bedeutung des Hinweises auf die Urlaubsnahme nachdrücklich. Diese vom EuGH erfundene Hinweispflicht halten wir auch weiterhin für höchst fragwürdig. Um ein Ansammeln von Urlaubsansprüchen über mehrere Jahre zu vermeiden, sollten Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern dennoch regelmäßig eine Urlaubsinformation zukommen lassen. Dabei ist auf Folgendes zu achten:

1. Zahl der Urlaubstage: Alle Arbeitnehmer sollten regelmäßig darauf hingewiesen werden, wie viele Urlaubstage (tariflich/vertraglich/gesetzlich, inkl. ggf. Zusatzurlaub wegen Schwerbehinderung) ihnen für das laufende Kalenderjahr und ggf. noch aus Vorjahren zustehen.

2. Aufforderung: Die Information über die Zahl der Urlaubstage allein, etwa auf der Lohnabrechnung, reicht nicht aus. Alle Arbeitnehmer müssen regelmäßig individuell aufgefordert werden, ihren Urlaub zu nehmen.

3. Hinweis auf Verfallfristen: Ferner ist klar darauf hinzuweisen, dass der Urlaub grundsätzlich verfällt, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht rechtzeitig nimmt. Auf die entsprechenden Fristen muss der Arbeitgeber hinweisen:

a) Nach § 7 Abs. 3 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden (Übertragungszeitraum).

b) Bei tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen ist zu beachten, dass der tarifliche Urlaub gem. § 10 III Ziff. 2 MTV Druck ohne besondere Gründe bis zum 31.03. des Folgejahres in Anspruch genommen werden kann.

c) Konnte der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden, so verfallen gesetzliche Urlaubsansprüche nach Ablauf von 15 Monaten nach Ende des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist.

Der zusätzliche tarifliche Urlaubsanspruch verfällt dagegen auch dann mit Ablauf des 31. März des folgenden Kalenderjahres, wenn der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden konnte. Entsprechendes kann auch bei vertraglichem Zusatzurlaub geregelt werden.

4. Individuelle Information: Die Urlaubsinformation muss individuell erfolgen, allgemeine Informationen am „Schwarzen Brett“ oder im Intranet, Merkblätter, Urlaubsregelungen in Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag reichen nicht aus.

5. Zeitpunkt: Information und Aufforderung müssen so rechtzeitig erfolgen, dass der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Anzahl der noch nicht genommenen Urlaubstage in der Lage ist, den Urlaub vor dessen Verfall vollständig zu nehmen.

Nach Ansicht des BAG kann der Arbeitgeber seine Obliegenheit dadurch erfüllen, dass er Anfang des Kalenderjahres eine Urlaubsinformation an alle Arbeitnehmer versendet, die die oben genannten Informationen enthält. Entsprechende Muster für tarifgebundene ( Anlage 3 ) und nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse ( Anlage 4 ) sind beigefügt.

Unternehmen, die bisher keine entsprechende Urlaubsinformation versandt haben, sollten dies für das laufende Jahr und ggf. bestehende Resturlaubsansprüche aus Vorjahren nachholen.

6. Aktualisierung: Eine ständige Aktualisierung der Urlaubsinformation ist grundsätzlich nicht notwendig. Entscheidend sind aber die Umstände des Einzelfalls. Daher sollte immer dann, wenn sich der Urlaubsanspruch im Laufe des Jahres grundlegend ändert, eine neue Urlaubsinformation verschickt werden.

Dies betrifft insbesondere folgende Fälle:

Wechsel zwischen Vollzeit und Teilzeit, wenn sich die Zahl der Arbeitstage und damit auch der Urlaubstage ändert zusätzliche Urlaubsansprüche, etwa wegen einer Schwerbehinderung (§ 208 Abs. 1 SGB IX) oder auf Grund einer Änderung des Arbeits- oder Tarifvertrages Kürzung des Urlaubs wegen Elternzeit (§ 17 Abs. 1 BEEG) anteiliger Urlaub bei unterjährigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis 7. Form und Dokumentation: Eine Information in Textform (etwa per E-Mail) ist ausreichend. Aus Beweisgründen kann der Arbeitgeber sich den Erhalt der Information auch vom Arbeitnehmer gegenzeichnen lassen. Die entsprechenden Schreiben sollten während des gesamten Arbeitsverhältnisses und auch eine gewisse Zeit nach dessen Ende aufbewahrt werden, um bei möglichen späteren Streitigkeiten den Zeitpunkt des Beginns der Verjährung von Abgeltungsansprüchen nachweisen zu können.

8. Hinweis bei Langzeitkranken: Soweit sich dies aus der Pressemitteilung erkennen lässt, geht das BAG davon aus, dass keine Hinweispflicht des Arbeitgebers gegeben ist, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Urlaubsjahres arbeitsunfähig ist. Im Jahr des Eintritts der Erkrankung muss hingegen ein entsprechender Hinweis erfolgen. In diesem Fall verfällt der Urlaub 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres, in dem der Arbeitnehmer erkrankt ist. Nach Rückkehr des Arbeitnehmers sollte dieser auf noch nicht verfallenen Urlaub hingewiesen werden.

9. Verjährung: Die Verjährung von Urlaubsansprüchen soll nach dem BAG dann möglich sein, wenn der Arbeitgeber seine Hinweispflicht erfüllt hat. Im Fall eines ordnungsgemäßen Hinweises verfällt der Urlaubsanspruch jedoch bereits vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist. Ein Hinweis auf eine mögliche Verjährung des Urlaubsanspruchs ist daher nach unserer Einschätzung auf Grund fehlender Anwendungsfälle nicht erforderlich. Bezüglich der Verjährung des Abgeltungsanspruchs ausgeschiedener Arbeitnehmer kommt es nach der Pressemitteilung des BAG nicht auf die Einhaltung der Hinweispflicht an. (bvdm)

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